Ausstellungseröffnung: 24. November 2023, 18 Uhr
Ausstellungsdauer: 25.11.-22.12.2023
Der Kunstraum Potsdam freut sich, vom 25. November bis 22. Dezember 2023 „Bestiaire d’Amour“, die Einzelausstellung der Frankfurter Künstlerin Sonja Yakovleva (*1989) präsentieren zu können. Mit rund dreißig Werken und einer raumfüllenden Papierschnitt-Installation umreißt „Bestiaire d’Amour“ Yakovlevas Oeuvre der letzten Jahre, das vor allem im Kontext des sex-positivem Feminismus wahrgenommen wurde.
In ihren zwischen 2019 und 2023 entstandenen Papierschnitten haben Frauen das sexuelle Regime übernommen und unterwerfen das patriarchale System. Ohne Scham benutzen Yakovlevas super-sexuelle Über-Frauen Männer als Objekte zur Befriedigung ihrer Lust, oder deklarieren sich selbst zu Objekten. Doch es geht um mehr als die utopisch-hedonistische Umkehrung der Geschlechterverhältnisse. Yakovleva nutzt die als „weiblich“ und „häuslich“ konnotierte Technik des Papierschnitts, um prekäre Grauzonen zu schaffen, politische, soziale Machtverhältnisse, Repräsentation, Sexualität und Gewalt neu zu verhandeln. Sie zeigt die Durchdringung der Popkultur und des Lebens von patriarchalen und kapitalistischen Ideologien, die Behauptung von Liberalität und Progressivität, und die repressiven, ausbeuterischen Strukturen, die sich dahinter verbergen.
Für die Ausstellungshalle, die von der Straße durch eine Glasfassade einsehbar ist, hat Yakovleva eine Installation aus überdimensionalen Papierschnitten realisiert. An einem historischen Ort, der lange als Wäscherei gedient hat, lässt sie monumentale, zugleich filigrane Papier- Dessous, BHs und Slips wie Wäsche an der Leine hängen – larger than Life. Die Installation korrespondiert mit ihrem Papierschnitt „Wäscherinnen“ (2019), auf dem sich nackte Frauen in einer utopischen Gemeinschaft vergnügen und ihre Wäsche waschen. Das Bild ist eine Reaktion auf chauvinistische, gewaltsame Männerfantasien. Die „Wäscherin“ verkörpert in der Malerei des Rokokos und des Klassizismus die erotische Verführungskraft der unteren Schichten. Die Figur steht für die frivole, etwas schlichte Dienstmagd, die ebenso als Arbeitskraft wie auch als Sexobjekt hemmungslos auszubeuten ist. Unzählige Motive der Kunst- und Filmgeschichte zeigen Soldaten, die aufreizende Wäscherinnen, ähnlich wie Jagdbeute am Flussufer betrachten. Oft assoziiert sich die Situation mit Krieg und Vergewaltigung. Auf ihrem Papierschnitt entwickelt Yakovleva einen feministischen Gegenentwurf: „In meiner Version sind die Frauen zwar nackt und von mir sexualisiert dargestellt, aber sie bestimmen selber darüber, wie sie ihre Arbeitszeit und das Zusammensein in dieser Gesellschaft gestalten und wer Ihnen dabei zusehen darf. Es ist eine Art Safe Space, in dem sich die Frauen nackt wohl fühlen und sich vor unerwünschten Gästen gegenseitig beschützen können.“
Genauso wie auf „Festival de Cannes“, einem fünf Meter breitem Papierschnitt der 2020, zu Beginn der Pandemie als Reaktion auf den #MeToo Skandal um Harvey Weinstein entstand, entwickelt Yakovleva eine in der aktuellen Kunst ungewöhnliche Vision feministischer Herrschaft. Ihre häufig auf Amateur -Pornografie basierten Papierschnitte verstoßen nicht nur in ihrem „Zuviel“, dem überbordend- ornamentalem, extrem dekorativen, fast protzigen Look gegen die Konventionen poetisch-politischer Kunst. Ihre Frauenfiguren sind extrem dominant, sexualisiert, betont materialistisch, neureich, wie Fußballerfrauen – nur ohne Fußballer. Häufig haben sie, wie auch die Künstlerin, die als Tochter russischer Armeeangehöriger in St. Petersburg aufwuchs, migrantischen Hintergrund. Es ist der Aufstand einer neuen, gar nicht so minimalistischen und zimperlichen S-Klasse, eine Art Bachelorette- Klassenkampf, der sich auch kritisch mit der Exklusivität, dem progressiven politischen Anspruch und dem „guten Geschmack“ des Kunstbetriebs auseinandersetzt.
Oliver Koerner von Gustorf
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