Kunst ist wenn sie trotzdem entsteht

Ausstellungseröffnung: Samstag, 11. Februar 2023, 10.00 – 19.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 11.02.2023 – 16.04.2023

Robert Rehfeldt, Ruth Wolf-Rehfeldt und das Mail Art Archiv von Ruth Wolf-Rehfeldt und Robert Rehfeldt

Kunst ist wenn sie trotzdem entsteht

Eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Mail Art Archive von Ruth Wolf-Rehfeldt und Robert Rehfeldt im Kunstraum Potsdam.

Die Ausstellung Kunst ist wenn sie trotzdem entsteht vergleicht die beiden Künstler Ruth Wolf-Rehfeldt und Robert Rehfeldt, indem sie sich auf einen entscheidenden Moment in ihrem Leben konzentriert: den Fall der Berliner Mauer. Die Geschichte von Robert Rehfeldt und Ruth Wolf-Rehfeldt beginnt in den frühen fünfziger Jahren, als sie sich kennenlernen und kurz darauf beschließen, zu heiraten. Robert, bereits ein anerkannter Maler und ein Künstler mit einer radikal experimentellen Ausstrahlung, inspiriert und ermutigt Ruth, selbst zu malen und Kunst zu schaffen. Die beiden beginnen eine parallele Karriere und entwickeln ihre eigene persönliche und ideologische Sprache, die durch die Verzweigung der Postkunst verbunden ist, einer Bewegung, für die Robert Rehfeldt in Deutschland als Pionier gilt.

Eingeschlossen in Ostdeutschland, während sich die Isolationspolitik verschärft und die Polarisierung die den Kalten Krieg ausmacht immer stärker wird, findet das Paar in der Postkunst ein Tor der Solidarität und Inspiration, ein Netzwerk, das es ihnen ermöglicht, mit Künstlern, Freunden, Kollegen und Aktivisten in der ganzen Welt in Kontakt zu bleiben. Der Titel der Ausstellung Kunst ist wenn sie trotzdem entsteht verweist direkt auf die Einschränkung der Ausdrucksbedürfnisse der beiden Künstler, trotz repressiver Umstände und wenig bis gar keiner Sichtbarkeit in einem internationalen Kontext. Aber was passiert, wenn die umgebende gesellschaftspolitische Situation, die Quelle des qualifizierenden „trotz“, versagt? Eine so gewaltige Umwälzung wie die, die durch den Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs ausgelöst wurde?

Die Ausstellung im Kunstraum Potsdam fragt genau nach diesem Übergang, nach dem gesellschaftspolitischen Wandel im Spiegel der Werke dieses Künstlerpaares. Unmittelbar und unwiderlegbar sichtbar ist die Explosion von Farbe und Lebendigkeit in Robert Rehfeldts Gemälden der frühen 1990er Jahre. Ob es sich dabei um eine gewollte und notwendige Öffnung gegenüber westlicheren Kanons handelt, um einen deutlichen Einfluss der Pop-Art und der Sprache der Werbung, um wirtschaftlichen Aufschwung und Wohlstand, der durch eine pro-amerikanische Ästhetik verstärkt wurde, die sich nun eindeutig dem Osten öffnet, oder einfach um eine persönliche Befreiung von früheren Zwängen, die vielleicht durch das Gemälde mit dem Titel Der neue Mensch (1992) symbolisiert wird, bleibt der Interpretation und Spekulation überlassen, wobei die Wahrheit wahrscheinlich eine Realität ist, die zwischen beiden schwankt.

Auf jeden Fall stellen diese Werke zweifellos eine echte stilistische Revolution dar, eine allgemeine Tatsache und gleichzeitig einen Wendepunkt, der den Mechanismen der so genannten Wiedervereinigung folgt, die für viele nach wie vor als eine Vernichtung des Ostens durch den Westen angesehen wird.

In diesem Sinne ist es bezeichnend, wie Robert Rehfeldt viele seiner Gemälde aus der Zeit vor dem Mauerfall überarbeitet: Anstatt neue Leinwände zu beginnen, überschreibt und löscht er bestehende mit neuen Motiven und Farben.

Ruth Wolf-Rehfeldt entschied sich stattdessen für eine viel radikalere Entscheidung: Sie hörte ganz auf, Kunst zu machen. Die Situation um sie herum hatte sich so sehr verändert, dass sie das Gefühl hatte, diesem enormen Umbruch keinen Sinn mehr geben zu können. Bevor sie sich

jedoch dazu entschloss, ihre künstlerische Praxis vollständig aufzugeben, schuf Wolf-Rehfeldt ein letztes Werk, das sich in seiner Farbigkeit und Pop-Art-Ausrichtung deutlich von demjenigen Robert Rehfeldts unterschied: Sie nutzte die Einführung von Xerox-Kopiergeräten und farbigem Papier, um mit diesem neuen Medium Motive zu reproduzieren, die sie zuvor fast ausschließlich in Schwarz-Weiß präsentiert hatte (mit Ausnahme seltener Beispiele auf rosa und blauem Papier).

Die Präsentation des Werks von Ruth Wolf-Rehfeldt in dieser Ausstellung konzentriert sich daher auf diesen letzten kreativen Impuls. In der ihr gewidmeten Vitrine finden wir Beispiele historischer Fotokopien aus den frühen 90er Jahren, umgeben von Repliken von Originalwerken, die an die Wände geklebt wurden und verschiedene Motive auf farbigem Papier enthalten.

Außerdem steht den Besuchern ein Tisch mit einem Fotokopiergerät zur Verfügung, das sie auffordert, ihre eigenen Kopien anzufertigen und per Post zu versenden. Dieses interaktive Moment erinnert an Ruth Wolf-Rehfeldts performatives Display in der Ausstellung 1975 in Warschau in der Galeria Teatru Studio, der ersten Ausstellung, in der Rehfeldt und Wolf-Rehfeldt gemeinsam im Ausland ausstellten. Im Zentrum der Installation von Wolf-Rehfeldt stand eine Schreibmaschine, die das Publikum nach Belieben benutzen konnte.

Insofern zielt diese zeitgenössische Hommage an die beiden Künstler und ihr bedeutendes historisches Erbe darauf ab, eine Verbindung zwischen Individuen zu schaffen, die von Harmonie und Korrespondenz spricht.

Die Ausstellung umfasst auch eine Reihe von Mail Art-Vitrinen, die jeweils Beiträge von verschiedenen Künstlern enthalten, mit denen das Paar in den 1970er bis 1990er Jahren in Kontakt kam. Die Auswahl umfasst Werke von Anna Banana, Guillermo Deisler, Damaso Ogaz, Pavel Rudolf, Jiří Valoch, Natalia LL, Stanisław Dróżdż, Andrzej Lachowicz und der Galerie Permafo.

Text und kuratorisches Konzept von Jennifer Chert / Das Mail Art Archiv von Ruth Wolf-Rehfeldt und Robert Rehfedlt

Zeitgleich zur Ausstellung im Kunstraum Potsdam eröffnet DAS MINSK Kunsthaus in Potsdam die Ausstellung Nichts Neues, die einen Überblick über das Werk von Ruth Wolf-Rehfeldt gibt.

Weitere Informationen: www.dasminsk.de


Ausstellung zur Edition von Herzattacke, gewidmet Wolfgang Leber, bis zum 16. April 2023.

Graphik Heute

In seinen Notizen über Graphik vermutet Hans Purrmann 1922 noch, diese sei eine Art Notenpresse für den Kunsthändler. Heute, genau 100 Jahre später, kann davon keine Rede mehr sein. Die Graphik hat heute nur noch wenige Liebhaber. Wie konnte es zu diesem Interessensverlust kommen? Die Welt ist heute bunt. Besonders die Medien, in denen uns das Leben dargestellt werden soll, existieren nur als Hochglanz.

Alles ist bunt, alle Zeitungsdrucke, Film, Fernsehen, in der schlimmsten Art, eine Flut von Buntbüchern, selbst Graffiti, alles schreit in Farbe. Mit dem Ergebnis einer Art Farbblindheit. Meine Bilder wurden mir oft als zu grau erklärt. Gut sehen kann der Betrachter schlecht! Das Schwarz einer Graphik wird als höchst fremd empfunden. Schwarz ist aber die klassische Farbe für eine Graphik. Sie gehörte zunächst ins Buch und war also schwarz wie die Schrift. Der Holzschnitt war dazu am besten geeignet, später kam noch die Lithographie dazu. Abgesehen von handkolorierten Büchern war immer alles schwarz/weiß, bis sich die Graphik vom Buch löste.

Die Graphik als Einzelblatt ist fast so alt wie die Malerei und wurde auch immer von Malern geschaffen, wenngleich nicht alle Maler auch Graphiker waren. Von van Gogh zum Beispiel gibt es nur zwei Graphiken. Eine späte Radierung, das Portrait Dr. Gachet, und die Lithographie „Der Kartoffelesser“. Der Stein soll einem Gebirge gleichen, wahrscheinlich durch übermäßiges Kratzen und Schaben entstanden. Kaum zu drucken. Cézanne hat ebenfalls nur ganz wenige Graphiken gemacht. Eine lithographische Fassung der „Badenden“ und wenige kleine Radierungen, eine davon hängt bei mir über dem Telefon. Natürlich ein späterer Abzug aus einem Buch, unsigniert. Die geringe Zahl von Graphiken in einem Werk ist aber Ausnahme. Im 20. Jahrhundert haben fast alle Maler ein graphisches Werk hinterlassen, oft von beträchtlichen Ausmaßen. Die Graphik gilt auch immer als eine Art Wechselspiel zur Malerei oder zur Bildhauerei, etwa bei Lehmbruck oder Henry Moore. Oft wird die Graphik auch benutzt als Vorarbeit zu einem Bild, es entstehen aber auch Graphiken nach Bildern. In zurückliegenden Zeiten sogar häufig als eine Art Reproduktion, da noch keine Möglichkeit fotographischer Wiedergabe bestand.

Das Entstehen einer Graphik erfordert besondere handwerkliche Mühen. Manchem Maler bleibt die Technik fremd. Auch für den Betrachter ist es nicht leicht, Licht ins Dunkel zu bringen. Es ist ja nur auf Papier, wo ist da der Wert? Es gab einmal Graphiksammler, mit der Mappe unter dem Arm, wunderbar dargestellt auf einigen Lithographien von Daumier. In der DDR gab es auch noch Graphiksammler, aber keine Mappen. Heute gibt es Mappen, aber keine Sammler mehr. Wozu also die Mappen? Produktionszwang. Die Mappe ersetzt heute der Aktendeckel, zur Aufbewahrung überflüssiger Behördenpost, worunter der Künstler besonders leidet. Ich habe schon meterlange Regale mit Akten gesehen, die eigentlich für Bücher vorgesehen waren.

Wo gestern noch eine Graphik oder ein Bild hingen, steht heute der Fernseher. Wozu soll man sich also der Mühe unterziehen, einen Holzschnitt ins Brett zu schneiden. Dazu kommt eben noch das geschwundene Interesse an Graphik, woraus wiederum auch das Verlangen, eine Graphik in die Platte zu kratzen, bei den Künstlern schwindet.

Die Anregung zur Graphik ist heute an den Hochschulen nur in geringem Maße vorhanden. Der Grund: Die Lehrkräfte sind nicht mehr in der Lage, die verschiedenen Arbeitsschritte, die bei einer Graphik nötig sind, zu vermitteln, weil sie selbst keine Graphik mehr machen. Die jungen Künstler können es sich nicht mehr leisten, wenn sie keine Presse haben, einen Drucker zu bezahlen. Dann übersteigen die Selbstkosten den möglichen Gewinn, der ja auch noch in den Sternen steht. Das Papier wird immer teurer, muss gelagert werden und verursacht zusätzliche Kosten. Der Kunsthandel kann mit Graphik kaum Gewinn verbuchen und die Druckwerkstätten gehen zunehmend verloren.

Also Verlust auf der ganzen Linie und große Verarmung. Die Malerei verliert ihr zweites Gleis. Alle neueren Erscheinungen in der bildenden Kunst, auch der witzigste Comic, kann diesen Verlust nicht ausgleichen. Das Schwinden der Graphik ist wie eine Amputation. Die Welt der Bilder wäre gar nicht vorstellbar ohne die graphischen Künste. Rembrandt, Goya, Daumier, Munch oder Picasso sind mit ihrer Unterschiedlichkeit der Handhabung verschiedenster Techniken unübertroffen. Besonders der deutsche Expressionismus hat die graphischen Ausdrucksformen in übergroßer Fülle erstrahlen lassen.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erzeugte eine Unzahl von Verlagen, Zeitschriften, Zeitungen, Büchern und Kunsthandlungen, die die Künstler veranlasste, diese Flut von Druckgraphiken entstehen zu lassen, die heute noch erstaunt. Es entstanden die schönsten graphischen Drucke in allen Techniken, sie zu betrachten ist beglückend.

Aber Graphik zu sehen, verlangt auch Kenntnis. Nicht so sehr, etwa die verschiedenen Techniken zu erkennen, sondern den Reichtum und die Feinheit, selbst in der verkürztesten Kaltnadelradierung noch zu erahnen.

Die Graphik bietet Möglichkeiten, die besonders aus dem Material entstehen, die auf keiner Leinwand herstellbar sind und das auch noch in mehrfacher Ausführung, wenn man will. Auch der Künstler hat seine Not, die Geheimnisse und Tücken der verschiedenen Techniken zu erfassen. Manches kann auch missraten, aber gerade daraus könnte eine wunderbare Form entstehen. Ich selbst habe Vieles versucht und auch verworfen, aber die Überraschungen sind unendlich und aus mutigen Experimenten kann Unerwartetes entstehen. Es gibt fast immer eine Rettung, oft ist auch ein guter Drucker nötig. Das Aufdecken des ersten Abzuges ist wie Weihnachten. Die Arbeit in den verschiedenen Techniken, das Erkennen der reichen Möglichkeiten gelingt am besten, wenn man sich längere Zeit mit einem Material beschäftigt. Es ist wie überall, Kunst entsteht nicht an einem Nachmittag. Ich habe oft die Wintermonate genutzt, beim Drucker war es immer warm.

In der Graphik, anders als in der Malerei, lassen sich durch verschiedene Zustandsdrucke die Intensionen des Künstlers, sein Wille zur Formung, überraschend gut nachvollziehen. Auch mögliche Fehlentscheidungen werden sichtbar. In der Malerei verschwindet alles unter einer mehr oder weniger dicken undurchsichtigen Farbschicht. Der Maler ist ein Verheimlicher. Heute versucht man diesen Prozess durch differenzierende Röntgenaufnahmen sichtbar zu machen. Einem Fälscher kann man so vielleicht auf die Spur kommen. Das letzte Geheimnis bleibt aber doch im Verborgenen.

Eine Graphik entstehen zu lassen, kann langwierig werden. Beim Holzschnitt ist es die Mühe des Schneidens, bis der Daumen blutet, bei der Radierung sind es die unberechenbaren Ätzvorgänge, die manchmal zerstören, aber auch Wunder hervorbringen können. Man muss sie erkennen und nutzbar machen für den nächsten Abzug.

Die Lithographie ist eine aufwendige Technik und fast nur mit einem Drucker zu verwirklichen. Allerdings haben die Expressionisten oft ihre Lithographien mit dem Löffel abgerieben, auf schlechtem Papier, und es wurden doch Meisterwerke.

Der Linolschnitt, eine recht einfache Technik, die schon im Kindergarten erlernt werden kann, hat seinen Meister in Picasso gefunden. Er hat dem Material durch überraschend waghalsige Druckabläufe, aber großer künstlerischer Entscheidung, zu einer Erweiterung und bestaunenswerten Ergebnissen verholfen.

All diese Techniken lassen sich, oh Wunder, auch noch mannigfaltig kombinieren, wodurch alles noch rätselhafter wird. Bei manchen meiner Graphiken kann ich die Druckabläufe oder Kombinationen nur schwer und manchmal gar nicht mehr rekonstruieren.

Am vielfältigsten kann das Entstehen einer Farblithographie sein. Ein Wegbereiter, fast Erfinder, auch noch für unsere Zeit, war hier Toulouse-Lautrec. Sein großes lithographisches Werk überzeugt durch die Beherrschung aller Möglichkeiten, die in dieser Technik vorhanden sind. Er war angeregt durch die Flächigkeit der japanischen Holzschnitte, die zu der Zeit in Europa stark verbreitet waren und hat die formalen Besonderheiten dieser Kunst in die französische Graphik transferiert. Besonders in den großformatigen Plakaten zu Varieté und Theater wird dies sichtbar. Dazu kommt die ungeheure handwerkliche Perfektion der damaligen Druckereien, die heute kaum noch vorstellbar ist. Die Farbgraphik hat unendliche Möglichkeiten. Man kann alle Steine oder Zinkplatten und die Farben untereinander auswechseln, abdecken, verdrehen oder beim Holzschnitt auch zerschneiden und jeder Druck wird ein Unikat. Das sind ausschließlich Möglichkeiten, die nur die Graphik bietet.

Ich denke also, dass die Arbeit an all diesen Techniken und vielleicht noch neuen Techniken, nicht zu Ende ist. Das Ordnen von bezeichneten und lichten Stellen, das Leuchten des weißen Papiers, das strahlende Schwarz, das Wunder der Farben, kann man mit Mühe oder Freude erleben. Die Künstler und auch die Interessierten werden immer wieder Neuheiten finden und entdecken.

Wer einmal das Summen der Walze auf dem Stein, das Zischen der Säure beim Ätzen, den Geruch frischer Farben in der Druckwerkstatt wahrgenommen hat, wird dieses Erlebnis nicht so schnell missen wollen. Die vereinfachenden Formen, zu der die Technik der Graphik oft zwingt, vermittelt sinnliche Erlebnisse besonderer Art. In meiner Arbeit war sie über lange Jahre ein wesentlicher Bestandteil und eine Möglichkeit, meine Bildvorstellungen sichtbar zu machen. Die Graphik ist der Partner der Malerei und wie „die Zeichnung ein Siegelabdruck des Erlebten“ (A. Kubin).

Die Graphik ist ein Spiel von Grund und Form.


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