Ausstellungsdauer: 07. Januar 2024 – 11. Februar 2024
Ausstellungseröffnung 07. Januar 2024 | So 16:00
Begrüßung: Mike Geßner, Künstlerischer Leiter Kunstraum
Einführung: Ulrike Kremeier,
Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst
Töne: Ma-Lou Bangerter
Die Sehnsucht hält mich in der Schwebe,
die Balance zu halten ist mein Leben.
Alice Bahra
Alice Bahra vertraut ihrem Material: Ton, Porzellan, Papier, Photographie. Ihre Arbeitsfelder sind fließend und führen zu minimalistischen objekt- und raumbezogenen Werken bzw. Werkreihen.
Sie hat eine gestalterische Vorliebe für Transformationen einer dreidimensionalen, strengen Grundform. Kontinuierlich entstehen seit 2001 kinetische Skulpturen.
Ihre 2016 für den KunstraumPotsdam realisierte Balance besteht aus zwei mittels Seilen fixierten Glasfiber-Streben – dazwischen gespannt sind hauchdünne Nylonschnüre. Die unauffällige, fragile Grundkonstruktion tritt zurück hinter die stille Präsenz hängender, mit Blei befestigter, gefalteter, halbtransparenter Papiere. Die schwebende Position wirkt wie ein zartes Dach und gibt dem Werk einen seismographischen Charakter. Der Windzug einer geöffneten Tür, der Atemhauch eines Ausstellungsbesuchers, selbst die Heizungswärme versetzen die Papiere in polyrhythmische Bewegungen. Sie schaukeln, drehen sich und berühren einander. Alice Bahra reagiert auf den Raum, in dem ihr Werk auf den Raum reagiert.
Die aus Porzellan-Teilen bestehende Bodenarbeit Umgebung besitzt ebenso wie die Balance eine rechteckige Grundfläche. Sie wirkt wie eine Spiegelung der kinetischen Skulptur. Die unregel- mäßigen Volumina und die verwirrenden Oberflächen der Porzellankuben bewegen sich nicht und irritieren die Wahrnehmung doch, weil die systematische Anordnung der einzelnen Teile dadurch für die Augen in Bewegung versetzt wird. Angelika Stepken entschlüsselte 1994 den Effekt: „Alle Teile sehen sich ähnlich und weisen doch Unterschiede voneinander auf, sind höher oder niedriger, ihre Schrägen verlaufen anders, die Seitenwände stehen präzise im rechten Winkel oder kippen leicht. Die scheinbare Vielfalt basiert auf einem einfachen Schlüssel. Alice Bahra reprodu-zierte acht Grundformen, die zwar graduell voneinander abweichen, aber nicht einer mathematischen Regel folgen.“ Auf derselben Abbildung wird ein dokumentarisches Foto vom Kunstpavillon in Heringsdorf sichtbar. Darin sieht man die Einzelausstellung – eine Arbeit von Alice, die die harmonische Spannung zwischen Architektur und Environment, zwischen Baukörper und Innenraum sichtbar macht. Mit dieser schlüssigen Verbindung aus dem eigenen Rückblick und der Ankunft im Hier und Jetzt gelang Alice Bahra im Januar 2016 im Kunstraum Potsdam die Wiederaufnahme ihrer künstlerischen Arbeit. Sie hatte geruht seit dem 4. April 2013, dem Todestag ihres Lebenspartners Christian Roehl, mit dem sie 40 Jahre lang eine intensive Arbeits- und Lebensbeziehung verband.
Der eigene Lebensraum war für Alice Bahra immer ein transparentes Gefäß, in dem sie sich geborgen fühlte. Als Kunsthandwerkerin hat sie mit Ton und Porzellan Formen entwickelt, deren dreidimensionale Präsenz und strenge Schönheit sich nicht nur im Gebrauch zeigten. Die Brücke zur Kunst entstand an jener Uferseite und festigte sich in den letzten 40 Jahren. Früh fasziniert von der Wandlungsfähigkeit des vertrauten keramischen Materials und dessen ureigener Sprache, fand Alice Bahra die heutige Offenheit für die Bestimmung eines konkreten Werkstoffes immer im Bezug zu einem konkreten Raum. So fand sie auch zum Papier und zur Gestaltung kinetischer Skulpturen sowie den Mut, sich an öffentlichen Wettbewerben für Kunst im öffentlichen Raum zu beteiligen.
Thomas M. Kumlehn
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