Ausstellungsdauer: 21.08.2011 – 09.10.2011
Beschleunigung schafft ein neues Sehen. Durch immer schnellere Transportmittel (Auto, Flugzeug, Bahn) entsteht ein Geschwindigkeitsrausch, der zeitliche und räumliche Intervalle auszulöschen scheint und damit unseren Blick auf die Welt verändert. Die Neuen Medien reizen das Auge mit immer schnelleren Schnittfolgen. 24 Einzelbilder pro Sekunde projiziert der Film vor das menschliche Auge und täuscht damit filmische Realität (und visuelle Kontinuität) vor. Durch die digitale Datenübertragung scheint die Beschleunigung einen vorläufigen Höhepunkt erreicht zu haben.
Die zeitgenössische Kunst, speziell filmische und video-basierte Arbeiten, reagiert mit unterschiedlichen Tendenzen auf die veränderten Sehgewohnheiten. Während einige Künstler der Faszination Beschleunigung nachgehen und der massenmedialen Bilderflut eine weitere, künstlerische Bilderflut entgegensetzen, mit deren Geschwindigkeit und simultaner Fülle sie die Wahrnehmung des Betrachters gezielt überfordern, gehen andere den umgekehrten Weg und schaffen Gegenbilder von Ruhe, die die rasenden Abläufe bewusst unterbrechen und damit überhaupt erst eine Möglichkeit zur Reflexion schaffen. Sowohl durch die Steigerung als auch durch die Unterbrechung der Geschwindigkeit wird die (materielle oder immaterielle) Beschleunigung sichtbar gemacht.
Der Medientheoretiker Paul Virilio macht in seinem Aufsatz Fahrzeug auf einen weiteren bedeutenden Aspekt des beschleunigten Sehens aufmerksam. Er vergleicht die Flüchtigkeit der Wahrnehmung aus einem fahrenden Wagen heraus mit den immateriellen, flüchtigen Bildern des Mediums Film. Je nach Grad der Beschleunigung des Transportmittels verändert sich die Deutlichkeit des vorbeiziehenden Bildes, ähnlich wie bei einem Projektor, der Bilder vor den Augen des Zuschauers in Hochgeschwindigkeit ablaufen lässt. Die Geschwindigkeit trägt so dazu bei, dass wir die Welt in Distanz zu uns wahrnehmen, dass Materialität und Körperlichkeit sich auflösen – die Dynamisierung von Bewegung findet nicht mehr im realen Raum, sondern im Bild statt.
Die Ausstellung high speed, slow motion im Kunstraum Potsdam untersucht entsprechend nicht so sehr das Wesen der Geschwindigkeit selbst, sondern will die Aufmerksamkeit auf die Sichtbarkeit von Beschleunigung und die Bedingungen ihrer Wahrnehmung lenken. Wie erfahren wir Beschleunigung in unterschiedlichen Bildern, Medien? Welche unserer Sinne werden verstärkt, welche mehr oder minder ausgeschaltet? Welche Erfahrung von Nähe oder Distanz wird durch die Beschleunigung des Blicks (sowohl in räumlichen Bildern, Zeichnung, Malerei und Skulptur, als auch in zeitbasierten Medien) ausgelöst? Wie verhält sich die Wahrnehmung von Geschwindigkeit zur Bewegung im Raum bzw. findet Bewegung im Raum überhaupt statt? Tauchen wir in die Bilder ein oder erfahren wir eine Auflösung von Körperlichkeit? Welches Körperbewusstsein entsteht bei der Wahrnehmung von Beschleunigung oder führt sie umgekehrt zu einem Verlust von haptischen und taktilen Eindrücken?
Die Gruppenausstellung versammelt eine Auswahl von künstlerischen Positionen, die Beschleunigung in unterschiedlichen Medien sichtbar machen, und setzt einen Schwerpunkt bei den audiovisuellen Medien Film und Video. Das Spektrum der Wahrnehmungsstrategien der Künstler reicht dabei von einer Überforderung der Sinne durch rasche, sich überlagernde Bildfolgen und Schnitte, Aufnahmen, die aus einem fahrenden Zug heraus aufgenommen wurden, über die Beschleunigung des Blicks durch kinetische Objekte, bis hin zu Bildern und Installationen, die Bewegung im Raum evozieren. Ihnen werden solche Positionen gegenübergestellt, die das Thema Bewegung fast an einen Nullpunkt versetzen, wie die Aufnahmen von scheinbar endlosem körperlichen Stillstand inmitten der permanent sich wandelnden, städtischen Umgebung sowie annähernd statische Videobilder, die jedoch einen Beginn von Bewegung markieren. Die Ruhe und Langsamkeit der Bilder trägt mit dazu bei, die Wahrnehmungsstruktur der Beschleunigung, deren Bestandteil sie ist, sinnlich zu erfassen.
Künstler: Fiona Banner, Florian Baudrexel, Tatjana Doll, Gabriele Drexler, Peter Fischli/David Weiss, Gunda Förster, Philipp Geist, Corina Rüegg, Andreas Sell, Johannes Vogl, Jorinde Voigt, Heike Weber.
Die Ausstellung wird ermöglicht durch die freundliche Unterstützung des Ministeriums für Wirtschaft und Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg (MWE).
Kuratorin: Dr. Sonja Claser
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