Ausstellungsdauer: 15.09. –14.10.2018
Eröffnung: Freitag, 14. September 2018, 19 Uhr
Einführung: Oliver Koerner von Gustorf
UNITED MINDFUCKS OF COLOR
– Die „Camouflage Pullovers“ von Marc Brandenburg
Von Jan Kedves
Ein beliebtes Missverständnis ist, dass man Mode benutzt, um seine Identität zum Ausdruck zu bringen, sie zu unterstreichen. Das mag bei manchen so sein. Andere wollen mit Mode eher von ihrer Identität ablenken, oder sich mit bestimmt Kleidung überhaupt erst den Anschein einer Identität anziehen. An diesem Punkt setzt Marc Brandenburg mit seinen „Camouflage Pullovers“ an. Es sind Strickpullover aus Acryl in leuchtenden Farben, an deren Halsausschnitt er Gesichtshauben aus echter Wolle hat stricken lassen. Die Hauben umschließen den Kopf des Trägers oder der Trägerin vollständig und deuten ein humanes Antlitz an: Frisur, Haarfarbe, beziehungsweise Augenschlitze. Der Mund hat einen Reißverschluss, was vielleicht ein wenig an S/M-Outfits erinnert. Die Hauben gibt es in vier „Hautfarben“, also: Ethnien – kaukasisch, asiatisch, arabisch, afrikanisch. Womit man auch schon bei der künstlerischen und modischen – das lässt sich hier nicht trennen – Betrachtung der „Camouflage Pullovers“ wäre. Sie erlauben ein Spiel mit Identitäten, aber weil sich das heutzutage immer viel zu leicht sagt, gleich etwas konkreter: Mit den „Camouflage Pullovers“ können Menschen ihre Ethnie kaschieren und wechseln, was spielerisch klingen mag, aber doch bald auf vermintes Gebiet führt. Denn während es einleuchtet, dass dunkelhäutige Menschen sich als Weiße tarnen wollen könnten, um rassistische Repressionen und körperlichen Angriffen zu entgehen, gibt es, wenn Weiße eine nicht-weiße Identität temporär annehmen, dafür Begriffe, die zu Recht negativ konnotiert sind: blackface, cultural appropriation, racial insensitivity. Muss denn gleich schon wieder alles so ernst und kompliziert sein? Es geht doch hier nur um Mode!? Dazu später.
Zunächst einmal: Die „Camouflage Pullovers“ gehen zurück auf Pullover, die Marc Brandenburg 1992 im Künstlerhaus Bethanien in Berlin-Kreuzberg zeigte, als Teil der Ausstellung „Ocean of Violence“ (gemeinsam mit Sabina Maria von der Linden). „Tarnpullover für Ausländer“ hießen sie damals. Es waren im Prinzip ganz ähnliche Pullover, mit nachträglich angestrickten Gesichtshauben. Nur waren sie damals noch nicht im öffentlichen Raum unterwegs, getragen von Menschen. Sondern Brandenburg hatte die Pullover im Ausstellungsraum händchenhaltend an die Wand genagelt. 1992, das war das Jahr der rassistischen Ausschreitungen gegen Asylbewerber und Gastarbeiter im wiedervereinten Deutschland, etwa in Rostock-Lichtenhagen. Es war das Jahr der L.A. Riots, die ausbrauchen, weil vier Polizisten (drei Weiße und ein Latino) den Afroamerikaner Rodney King schwer misshandelt hatten, aber straffrei davonkamen.
Marc Brandenburg brachte mit den „Tarnpullovern für Ausländer“ damals drei Themen zusammen: die Rassismus-Diskussion, die Kontroverse um das Vermummungsverbot in Deutschland, und Bilder aus der Fashion-Werbung. Drei Jahre zuvor, 1989, war in Westdeutschland die Vermummung bei Demonstrationen zur Straftat hochgestuft worden (vorher war es nur eine Ordnungswidrigkeit). Man musste als Demonstrant und Demonstrantin nun Gesicht zeigen, so wollte es die konservative Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl. Die „Tarnpullover für Ausländer“ schienen zu fragen: Könnte man nicht beides gleichzeitig tun, sich vermummen und dabei Gesicht zeigen? Und: Könnte das Anziehen von Mode nicht auch eine Demonstration sein, eine private Demo im Kleinen sozusagen? Die Italienische Strickmarke Benetton entwarf zu der Zeit in ihren Werkekampagnen eine helle, post-rassistische Welt. Kinder unterschiedlicher Ethnien, die sich in bunten Pullovern lachend an den Händen halten, fotografiert von Oliviero Toscani. „Es ist klar, dass die Tarnpullover nur anhand der damaligen Benetton-Kampagne entstanden sind“, sagt Brandenburg. „Das war ja damals wirklich neu: dass sich in einer ganz normalen Fashion-Werbung unterschiedliche Ethnien an der Hand fassen. Das ist aufgefallen. Das war zukunftsweisend!“
Ein Vierteljahrhundert nach der „United Colors of Benetton“-Utopie weiß man leider, dass sie allzu optimistisch war. „Der Gedanke, dass man sich wegen seiner Hautfarbe tarnen muss, ist knallhart“, sagt Brandenburg. Er spielt damit darauf an, dass es auch im Jahr 2018 – in Zeiten von Donald Trump und AfD – für potentielle Opfer rassistische Übergriffe immer noch und immer wieder ratsam erscheint, darüber nachzudenken, wie sie sich präventiv schützen könnten. Warum nicht mit Kleidung, Masken, Mode und ethnischer Tarnung?
Das Wort Maske geht auf das arabische Wort mashara zurück, es steht für Narr, Posse, Hänselei, Scherz. Die Maske ist etwas, mit dem man sein Gesicht gleichzeitig versteckt und beschützt. Man betrügt offensichtliche sein Gegenüber. Man wird, indem man sein Gesicht verbirgt, erst recht auffällig, man wird angestarrt. Ein Karussell der Mutmaßungen dreht los. „Man würde bei einer schwarzen Maske wohl nie auf die Idee kommen, dass da vielleicht ein schwarzer Mensch drunter stecken könnte. Das ist ja eigentliche ein totaler mindfuck. Diese Irritation ist ein Anstoß zum Nachdenken, und das ist natürlich immer gut“, sagt Marc Brandenburg.
Hier wird vielleicht auch eine Verbindung zu dem Werk deutlich, mit dem Marc Brandenburg bekannt geworden ist: In seinen aufwendigen Bleistift-Zeichnungen nimmt er die Farbe heraus und invertiert sie, Weiß wird Schwarz, Schwarz wird Weiß. Häufig ist Brandenburg daher zugeschrieben worden, er adressiere – als schwarzer Deutscher mit afroamerikanischen Wurzeln – in seinen Zeichnungen das Thema Hautfarbe. Dies war von ihm sicher nicht immer intendiert. Bei den „Camouflage Pullovers“ ist es nun intendiert. Allerdings nicht in Schwarz-Weiß. So könnte es ja zum Beispiel für people of color, die sich ethnisch tarnen wollen, sogar ratsam sein, statt einer „weißen“ Strickmaske, die ihre Hautfarbe invertieren würde, eine „schwarze“ Strickmaske zu tragen. Sie sähen dann nämlich vor allem aus wie jene weißen Idioten, die es, zum Beispiel an Karneval, immer noch lustig finden, sich in blackface zu verkleiden, also: sich stereotyp schwarz zu schminken. Müssen solche Idioten fürchten, verprügelt oder ermordet zu werden? Kaum. Man lacht sie höchstens an oder aus, oder beschimpft sie ein bisschen. Easy – jedenfalls im Vergleich zu den Konsequenzen, die schwarze Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe häufig erleiden müssen.
Die „weißen“ Masken hingegen könnten auch von Weißen getragen werden. Unter einer Maske mit weißer Haut wird man nämlich reflexhaft eine person of color vermuten. Könnten weiße Menschen auf diese Weise zumindest ansatzweise versuchen, sich einmal in den Kopf eines Menschen hineinzudenken, der das Gefühl hat, seine Ethnie verbergen zu müssen? Und dem dann womöglich von einem Nazi auf offener Straße die Maske vom Kopf gerissen wird? Der Nazi bekäme wohl den Schock seines Lebens.
Und um noch eine weitere Option durchzuspielen: Könnte unter dem „Camouflage Pullover“, der mit Bart und dunklem Hautton einen stereotypen arabischen Mann andeutet, nicht auch eine arabische Frau stecken, die sich mal auf ganz neue Weise verschleiern will – nämlich auf eine Weise, die das Gebot, dass man als Muslima keine weiblichen Reize aussenden soll, ganz beim Wort nimmt? Gäbe es eine Werbekampagne für die „Camouflage Pullovers“, könnte sie jedenfalls heißen: United Mindfucks of Color (and Gender and Religion)…
Marc Brandenburg hat entschieden, die Pullover nicht im Museum zu zeigen. Sie sind dort aber in vermittelter Form zu sehen, als Protagonisten in Videos, in denen sie in real life zum Einsatz kommen – in der Tram, im Spätkauf, im Park. In den Videos wird noch einmal deutlich, wie angsteinflößend und albtraumhaft eine Maske wirken kann – wenn in ihr eine totale Auffälligkeit und die Absicht, etwas vor der Öffentlichkeit zu verbergen, in eins fallen. Die Originale der Pullover hängen für die Dauer der Ausstellung in einem Laden in Berlin-Mitte. Wobei zunächst unklar bleibt, ob International Wardrobe in der Almstadtstraße im Scheunenviertel ein Fashion-Laden ist oder ein Laden, dessen Sortiment aus dem exakten Gegenteil von Fashion besteht. Es gibt hier nämlich Trachten und traditionelle Artefakte zu kaufen, wie es sie seit Hunderten von Jahren mehr oder weniger unverändert auf der Welt gibt. „Als ich die ‚Camouflage Pullovers‘ gemacht habe, dachte ich: Die sehen eigentlich so aus wie etwas, was Katharina von einer ihrer Reisen hätte mitbringen können. Und das fand sie dann auch, als ich sie ihr gezeigt habe“, sagt Brandenburg.
Katharina Koppenwallner, die Betreiberin von International Wardrobe, verfolgt sozusagen das Gegenteil der Benetton-Idee. Anstatt darauf zu setzen, dass verschiedene Ethnien und Identitäten sich in ein und derselben Mode harmonisch vereinen lassen, reist sie regelmäßig in Länder wie China, Rumänien, Indien oder Laos, um dort mit Herstellern und Händlern traditioneller Kleidung in Kontakt zu treten, etwas über die Geschichte und Bedeutung ihrer Produkte zu lernen, sie vor Ort einzukaufen und in Berlin zu verkaufen. Es gibt wohl keinen zweiten Laden in Berlin, vielleicht sogar in Deutschland, bei dessen Betreten man so sehr in Schwimmen gerät, weil einem schlicht die kulturellen Referenzen und Codes fehlen. Man ahnt, dass diese Kleidungsstücke mit spezifischen kulturellen und ethnischen Identitäten in Verbindung stehen, aber man erkennt weder auf Anhieb, woher sie stammen, noch wofür sie gedacht sind. Der Krama zum Beispiel, ein karierter Baumwollschal aus Kambodscha, wird – so schreibt Koppenwallner auf dem dazugehörigen Schildchen – „als Schal gegen die Sonne eingesetzt, als Sarong, als Schultertuch, als Turban oder Stirnband, als Gürtel oder Halstuch, als Abdeckplane für Motorräder, als Seil, zum Tragen von Babys, Hühnern oder Gemüse“. Der Krama ist ein Produkt, das seine Identität immer wieder tauschen kann, vielleicht könnte man sogar sagen, dass er sich traditionell in seinem ohnehin schon breiten Repertoire.
International Wardrobe ist so gesehen ein Ort, an dem Identitäten zwar vermittelt, aber nicht fixiert werden. Der passende Rahmen für Marc Brandenburgs „Camouflage Pullovers“. Sie werden, sagt Brandenburg, während der Ausstellung in das Sortiment des Ladens „integriert, ohne dass dafür irgendetwas anderes weggehängt wird“. Das ist ihm wichtig. Und das ist ja eigentlich auch ein schönes Bild für ungleich größere Zusammenhänge. Denn wer sagt denn, dass man seine eigene Identität gleich aufgeben oder wegräumen muss, nur weil sich nebenan noch eine andere hinzugesellt?
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